Der
Genossenschaftskommentar - Ein Leitfaden für die Praxis |
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Frage: |
Wir erleben derzeit eine wahre Flut
von Versprechungen, was alles unter dem Begriff „Mitgliederförderung“ zu
sehen ist. Ich bin selbst im Aufsichtsrat einer Genossenschaft und werde von
zahlreichen Mitgliedern unserer
Genossenschaft ständig bedrängt, unsere Mitgliederförderung erheblich
auszuweiten. Unlängst war ich bei einem „Beratungsgespräch“ anwesend, weil
ein Bekannter von uns, der zahlreiche Immobilien hat, von einem „Berater“
angesprochen wurde und einen Beratungstermin hatte. … Ich hatte den Eindruck, auf einem „Förder-Basar“
zu sein, denn es gab fast keinen Bereich, der angeblich nicht „förderfähig
wäre. Alles zum Wohle der Mitglieder, auch das noble Firmenfahrzeug oder die
Mitglieder-Weiterbildung im „Ferienparadies“. Natürlich fehlten die „Bioküche“
und andere „Wohltaten“ nicht. Und der „Gründungsspaß“ sollte über 10.000 Euro
kosten. Ziemlich viel für das Ausfüllen von einigen „Gründungs-Vordrucken“. … Ich hätte den Preis ja noch verstanden,
wenn es eine „gesicherte“ Zusage für die „Förderung“ gegeben hätte. Auf die
Frage des anwesenden Steuerberaters meines Freundes, nach der „Belastbarkeit“
der Beratungsempfehlungen, wurde auf das Genossenschaftsgesetz und auf
Kommentare dazu verwiesen. Insbesondere ein Herr Peutin wurde zitiert. Der
sei eine große Nummer im Genossenschaftsbereich. … Der Steuerberater verwies
immer wieder auf die „ungesicherte“ „Steuerlage“ hin, es gäbe bisher dazu
keine gesicherte Rechtsprechung. …. Was soll ich nun glauben? Habe ich
als „Aufsichtsrat“ etwas falsch gemacht oder sind da „Scharlatane“ unterwegs,
die nicht wissen, was sie tun: · Man provoziert den Gesetzgeber und
trägt vielleicht dazu bei, das Genossenschaftsrecht einzuschränken. … Wie sollte man sich verhalten? |
Antwort: |
Wir kennen die Thematik inzwischen recht gut und wundern uns
schon, für wie naiv manche „Kunden“ und „Genossenschaftsberater“ die Gesetzgeber
halten, die gerade jetzt die ganz normale „Wirtschaftsförderung“
(pandemiebedingt) mit hohen zusätzlichen Milliarden-Krediten „am Leben“
erhalten müssen. Das muss von den Steuerzahlern letztlich aufgebracht werden.
Zur gleichen Zeit verkünden „umherziehende“ Verkäufer den „leichten Weg zum
Steuersparen“ zur Sicherung des „Vermögenswachstums“ – vorrangig für bereits „sehr
gut Betuchte“, wie man landläufig sagen würde. … Dies hat nichts mit einem „Genossenschaftskommentar“ zu tun,
könnte man einwenden. Das sieht aber nur auf den ersten Blick so aus, denn
wie Juristen wissen, wird bereits in den Anfangssemestern Rechtswissenschaft
gelehrt, dass „Recht“ auch „politisch“ ist. Manche sprechen „von zu Normen
geronnener Politik“. … Natürlich kennt man auch den Unterschied zwischen „Legitimität“
und „Legalität“. Nehmen wir einmal an, dass jemand meint, es könne zur
Mitgliederförderung gehören, z.B.: ·
Einen
überdurchschnittlich großen Sportwagen für die Genossenschaft anzuschaffen,
um die Kinder von Mitgliedern zur Schule zu fahren; ·
Weiterbildung
müsse in Mallorca oder in USA erfolgen; ·
Die moderne „Bioküche“
und die „Bio-Nahrung“ für die „Familie der Mitglieder“ anzuschaffen; ·
Das in die
Genossenschaft eingebrachte Haus komplett zu sanieren etc. . So oder ähnlich, die „Verkaufs-Idee“ eines „pfiffigen“
Genossenschaftsberaters. Das alles schreibt man „abstrakt“ in die Satzung und
konkretisiert es über eine „Förderrichtlinie“ der Genossenschaft. Recht zeitnah dürfte es zu einer „Umsatzsteuer-Prüfung“ kommen.
Die Frage ist angemessen, mit welchen „Gesetzen oder Richtlinien“ dieser
Steuerprüfer wohl ausgestattet ist? Wir vermuten, er ist mit Steuergesetzen, Steuer-Richtlinien
und Arbeitspapieren der Oberfinanzdirektion (OFD) ausgestattet. Er oder sie
hat Listen mit sog. Vergleichswerten zur „Angemessenheit“ dabei. Die
Steuerprüfung wird sich an der zentralen Frage dieser „Angemessenheit“
orientieren und - wahrscheinlich in zwei Richtungen gehend - zunächst so
lauten: ·
Wie wäre der
Vorgang aus der Sicht eines Vergleichs mit anderen Unternehmensformen zu
beurteilen? Sind Sportwagen, Weiterbildung in USA, Bio-Küche, Haussanierung,
etc. schon „beurteilt“ worden? ·
Wie sind diese
Situationen – abweichend – bezogen auf die Besonderheit einer Genossenschaft –
unter Berücksichtigung der Spezifik „Mitgliederförderung“ – zu sehen? Wir fassen zusammen: ·
Es spricht
natürlich nicht dagegen, eine „komfortable“ Mitgliederförderung „auszuweisen“.
Das macht sich gut in der Situation „Verkauf einer Beratungsleistung“. Aber ist das auch im Interesse des Genossenschaftsgedankens und
der Mitgliederförderung allgemein? Nichts spricht dagegen, die Mitgliederförderung – der Grundgedanke
der Genossenschafts-Idee – latent den jeweilig konkreten Momenten einer
jeweils konkreten Genossenschaft – anzupassen, um die „Wirtschaft“ (der
Genossenschaft und deren Mitglieder) zu fördern. Wir haben jedoch Bedenken, dies als eine Art „Vertriebskonzept“
aufzubauen und zu popularisieren, weil man bereits hiermit zum Ausdruck bringt,
eben diese „Einfall-Entscheidung“ oder anders ausgedrückt, die
unterschiedlichen Situationen (zwischen Genossenschaften) überhaupt nicht
berücksichtigt zu haben. …. Auch wenn es zunächst („vertriebstechnisch“) Sinn machen könnte, die
Mitgliederförderung zu „standardisieren“, wird das später – z.B. bei einer
Betriebsprüfung oder einem Urteil des Finanzgerichtes – sich wahrscheinlich
als erheblicher Nachteil herausstellen können: ·
Es ist eher
unwahrscheinlich, dass man bereits vor Gründung oder auch während des
Gründungsvorganges genau gewusst zu haben, wie im Einzelfall die jeweils
konkrete Genossenschafts-Situation aussehen werde. … Es sollte nachdenklich machen, weshalb der Gesetzgeber (GenG)
ausgerechnet den „zentralsten“ Unterschied dieser Unternehmensform zu anderen
Formen, sozusagen das „Herzstück“ einer Genossenschaft - die
Mitgliederförderung - eben nicht besonders konkretisiert, sondern es bei (abstrakten)
Hinweis in § 1 GenG bewenden lässt, eine „Genossenschaft“ zu definieren: Zunächst die – alte – Fassung, die seit Entstehung des GenG – 5/1889
(RGBL1,55) bestand: ·
„Gesellschaften
von nicht geschlossener Mitgliederzahl, welche die Förderung des Erwerbs
oder der Wirtschaft ihrer Mitglieder mittels gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb
bezwecken …“ (sind Genossenschaften) Die seit 17.07.2017 geltende Fassung (BGBL 1 S. 2541) lautet nunmehr: ·
„Gesellschaften
von nicht geschlossener Mitgliederzahl, deren Zweck darauf gerichtet
ist, den Erwerb oder die Wirtschaft ihrer Mitglieder oder
deren soziale oder kulturelle Belange durch gemeinschaftlichen
Geschäftsbetrieb zu fördern (Genossenschaften), erwerben die Rechte einer
"eingetragenen Genossenschaft" nach Maßgabe dieses Gesetzes.“ Bei einem Vergleich beider (aktuell bestehenden) Formulierungen könnte
man zu folgenden Ergebnissen kommen: A. ·
Der Erwerb oder
die Wirtschaft soll durch „soziale und kulturelle Belange“ – in der gleichen
Genossenschaft - ergänzt werden. oder ·
Es sollen nunmehr auch
(solche) Genossenschaften entstehen können, die die sozialen oder
kulturellen Belange ihrer Mitglieder fördern. Eine andere Interpretation könnte jedoch z.B. lauten: B. ·
Genossenschaften,
die dem Erwerb oder die Wirtschaft dienen, sollen auch (also zusätzlich)
die sozialen und kulturellen Belange ihrer Mitglieder wahrnehmen. |
Redaktion: AG Genossenschaftskommentar- in Verbindung
mit - SmartCoop Forschungsinstitut (SCFI) „ThinkTank“ des MMWCoopGo (Bundesverbandes
für die gesamte Cooperatins- u. Genossenschaftswirtschaft) i.V.m. Experten
und Fachleuten des Bereichs Genossenschaften. Auf dem Blog https;//Genossenschaftskommentar.blogspot.com
veröffentlichen wir Auszüge unserer Arbeit. Mail: info@menschen-machen-wirtschaft.de |