Presseveröffentlichung
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Genossenschaften
und Mittelstand
Nur 0,2 Prozent des
Mittelstands sind Genossenschaften – das sollte sich ändern.
Wer
heute in Deutschland nach einem mittelständischen Unternehmen sucht, das
vielleicht sogar noch intensiv Forschung und Entwicklung im
Unternehmenskonzept vorsieht, wird schnell feststellen, dass so etwas in der
Rechtsform einer Genossenschaft nicht vorkommt. Eine wirklich ernüchternde
Bilanz, die der MMW/CoopGo Bundesverband der Cooperationswirtschaft in einem
Fach-Hearing „Mittelstand sucht
Genossenschaften“ zur Kenntnis nehmen musste. Wir haben das Problem
erahnt, jedoch in dieser Klarheit und Schlüssigkeit nicht erwartet – so das
Resümee des MMW Vorstandes Gerd K. Schaumann.
Das
„Raiffeisenjahr 2018“ war bisher eher ein Jahr des Feierns und des
Selbstlobs. Das hat durchaus seine Berechtigung, hält aber einem kritischen
Blick - vor allem in Richtung „Potenzialentfaltung“ - nicht Stand. Nichts
gegen Feiern, so der Ausblick zahlreicher Referenten zum Hearing, aber wir
würden uns wünschen, wenn man sich jetzt mehr auf die Zukunftsfähigkeit des Genossenschafts-Sektors orientiert. Und
dort zeigten die teilnehmenden Mittelstandsforscher erhebliche Defizite auf.
Insbesondere
zu den Themenbereichen: Gründung –
Konsolidierung – Finanzierung - Forschung und Entwicklung – Innovationen –
Politikpräsenz – Attraktivität – Unternehmensführung – und
Vorbildeigenschaften stellten alle Referenten übereinstimmend fest, dass bisher
weder die Stärken noch die Schwächen einer kooperativen Rechtsform in
Gesellschaft und Politik wirklich erforscht
bzw. bekannt sind. Sie kritisierten vor allem, dass man – seitens der
Verbände – sich fast ausschließlich auf das (rechtliche) Zustandekommen von
Genossenschaft konzentriere. Was die Menschen jedoch benötigen, seien
schlüssige und „belastbare“ Aussagen, worin die Vorteile einer Genossenschaft liegen, welches ihre besonderen Erfolgs-Potenziale sind
und mit welchen speziellen Konzeptionen und Methoden die latent bestehenden „WirKraft-Vorteile“ in Wirkung zu
bringen sind.
Eine
Auswertung von Veröffentlichungen der unterschiedlichen Verbände im
Genossenschafts-Sektor zeige, dass man sich zwar sehr intensiv mit der
„Unternehmens-Struktur“ befasse, jedoch wenig dazu beiträgt, darzulegen,
worin die Vorteile eines kooperativ
wirkenden Unternehmens liegen - im Gegensatz zu einem Unternehmen mit
eher „konkurrierend“ ausgerichteter Sichtweise – nach innen und nach außen.
Kurzum,
die latenten unternehmerischen „Erfolgsfaktoren“, wie z.B. die Förderung von Selbstverantwortung,
Selbstbewusstsein oder Selbstorganisation werden kaum thematisiert. Es
wurden Zweifel geäußert, ob eine Dominanz der „Struktur-Verliebtheit“
wirklich dazu beitragen kann, dass sowohl der „Startup-Bereich“, wie auch
bestehende Unternehmen anzusprechen sind, sich ernsthaft mit einer „Alternativ-Lösung“ Genossenschaft
versus GmbH oder AG auseinanderzusetzen.
Die
Zahlen im Genossenschaftsbereich sind eigentlich ernüchternd genug:
2017
kamen gerade einmal (netto) 3 (drei!)
Genossenschaften hinzu.
Der
Anteil an Genossenschaften am gesamten Mittelstandsbereich beträgt
bescheidene 0,2% (!). Geht man
davon aus, dass von den ca. 8.000 bestehenden Genossenschaften etwa 50 % den
Bereichen Banken, Wohnungsbau, Landwirtschaft, etc. zuzurechnen sind,
repräsentieren etwa 4.000 Genossenschaften diesen Anteil von 0,2 %
Genossenschaften.
Es
wurde eingehend diskutiert, welches das angemessene Potenzial sei, mit dem
Genossenschaften im Mittelstand vertreten sein sollten.
Ausgehend
davon, dass Genossenschaften wohl die einzige Rechtsform mit kooperativer
Ausrichtung sind, einigte man sich auf 3 Zielgrößen:
A.
Kurzfristig sollte ein %-Satz von 1% angestrebt werden. Das entspricht
einem „Faktor 5“ und würde bedeuten, dass es ca. 20.000 Genossenschaften geben müsste (4.000 x 5)
B.
Mittelfristig sollte ein %-Satz
von 5% angestrebt werden. Das
entspräche ca. 100.000
Genossenschaften.
C.
Längerfristig – das entspräche
etwa einem Zeitraum bis 2025 sollte der Anteil an Genossenschaften bei 10% liegen. Damit würde sich die
Anzahl der Genossenschaften auf tendenziell 200.000 Unternehmen zubewegen.
Bei
diesen Zahlen wird deutlich, wie weit der Genossenschafts-Sektor bereits ins
Hintertreffen geraten ist, bzw. vor welchen Herausforderungen Politik und
Verbände wirklich stehen.
Eingedenk
solcher – ernüchternden - Zahlen wird auch verständlich, weshalb man
Genossenschaften bisher kaum wirklich als „Erfolgs-Story“ feiern kann,
zumindest nicht, um sie als eine feste Größe im Mittelstandsbereich zu
etablieren.
Die
Mittelstandsforscher begrüßten die Initiative von MMW ausdrücklich, endlich
an Hochschulen und Universitäten Studienfächer bzw. Fachbereiche für Kooperationswissenschaften bzw.
Kooperationswirtschaft einzurichten, weil nur so gewährleistet werden
kann, dass ein Umdenken in Richtung mehr Kooperation statt Konkurrenz
erfolgen kann und auch das für Kooperationsunternehmen notwendige Management
ausgebildet wird.
Die
Wissenschaftler prognostizierten staatlichen und privaten Hochschulen eine
gute Perspektive, vor allem um sich mittels eines neuen und attraktiven
(Kooperations-) Profils aus einem immer stärker werden
„Verdrängungswettbewerb“ zu lösen.
Der
gesamte Genossenschafts-Sektor – so die Experten – ist bisher wenig darauf
ausgerichtet, den Mittelstandsbereich kooperativ mitzugestalten. Als Beispiel diente die Frage der Finanzierung von innovativen
Unternehmensprojekten.
Man
war sich einig, dass Genossenschaften besondere Probleme haben bei der
Kapitalbeschaffung, sowohl beim Eigen- wie auch beim Fremdkapital.
Es
dürfte nicht ausreichen, pauschal einfach alle Bemühungen, einen Eigenkapitalaufbau zu schaffen, recht
oberflächlich als „Kapitalanlagegenossenschaften“ zu bezeichnen und diese
pauschal zu stigmatisieren. Es gibt sicherlich auch „Problemfälle“, meist
verursacht von einem Management, das eigentlich über keine nachvollziehbare
und erfolgsbezogene Konzeptionen und oftmals auch über zu wenig
Managementkompetenz verfügt, solche Projekte mittels eines
Kooperations-Unternehmens erfolgreich umzusetzen.
Wer
jedoch eingedenk solcher „Möchtegern-Spielarten“ meint, sich mit dem Grundproblem „Kapitalaufbau“ und
Qualifikation nicht mehr befassen zu müssen, hat entweder keine Fähigkeit
oder Bereitschaft zur wirklichen Problemlösung oder es ist ihm einfach
gleichgültig, ob und wie es gelingen kann bzw. muss, den
Genossenschafts-Sektor im Mittelstand wirklich zu platzieren, zumindest –
zunächst - mit einem relativ bescheidenen Anteil von 1% bis 10%.
Erstaunt
zeigte sich auch einige der Teilnehmer über eine recht problematische Tendenz
der Presse, beim pauschalen Ruf nach mehr „Reglementierung“ durch Staat und Verbände. Eher seien jetzt
konstruktive Lösungen seitens Regierung und Parteien gefordert, endlich – der
Besonderheit des Sektors entsprechend – Voraussetzungen
zu schaffen, um Genossenschafts-Projekte finanzierbar zu machen.
Verbraucherschutz ist gut für Verbraucher, aber Teilhaber an Genossenschaften sind
nun einmal keine Verbraucher. Und eine Genossenschaft, die
Beteiligungschancen für viele Menschen eröffnet, ist deshalb nicht
automatisch ein Unternehmen, das irgendwelche „Anlagen“ für Kapital oder
Vermögen anbietet.
Wie
wäre es – zumindest zusätzlich – die Perspektive zu eröffnen, dass mehr
Genossenschaften im Mittelstand auch etwas mit einer veränderten Sicht zur Vermögensverteilung zu tun haben
könnten und solche Unternehmen Voraussetzungen schaffen können, damit mehr Menschen eine Unternehmens- Teilhabe eröffnet
würde, um Einfluss auf die Unternehmenspolitik nehmen. Gerade im Zeitalter
der Digitalisierung sind
Unternehmen nicht hoch genug einzuschätzen, in denen die betroffenen Menschen
Mitgestaltungsrechte haben.
Was
aus Sicht der Menschen jedoch offensichtlich fehlt, ist der „ganz normale
Umgang“ sich dem Thema „Teilhabe“
an Genossenschaften interessiert und informiert zu nähern. Hier scheint es an
Aufklärung zu fehlen, jedoch nicht aus Sicht von Verbrauchern, sondern von Teilhabern. Warum nicht analog - dem
bewährten Prinzip der Selbstorganisation im Arbeitssektor folgend – im
Genossenschaftssektor ebenfalls mehr
Selbstorganisation zu ermöglichen?
Wer
– wie in den letzten Jahren geschehen – den Verbraucherschutz massiv mit Mitteln stärkte, sollte kreativ genug sein,
ähnlich auch eine Art
„Teilhaber-Schutz“ für den Genossenschaftssektor zu schaffen. So wie die
Mitwirkungsrechte von Gewerkschaften den Unternehmen im „Konkurrenzsektor“
eher genützt als geschadet haben, wäre auch zu prüfen, ob im
Selbstorganisations-Sektor Genossenschaften eine „Vereinigung für Teilhaber“ aufzubauen und deren Arbeit –
zumindest in der Anfangsphase - staatlich zu befördern.
Statt
mehr staatliche Reglementierung und mehr verbandliche Bürokratisierung, die
beide eigentlich nichts bzw. wenig Konstruktives zur Entwicklung des
Genossenschaftssektors beitragen können und nur Mehrkosten verursachen, wären
folgende Wege eher zielführend:
A.
Der staatliche Sektor entwickelt – auch für Genossenschaften - stimmige Förderprogramme zur Finanzierung
von Startups, Forschung und Entwicklung, sowie allgemeine
Unternehmensentwicklungen.
B.
Die Verbände im Genossenschaftssektor gehen über das „Senden“ von
Strukturinformation zu Genossenschaften hinaus und bieten überzeugende und
spezielle „Werkzeuge und Instrumente“
an, mit denen die „WirKraft-Vorteile“
erkennbar und erfolgreich umsetzbar sind.
C.
Es kommt zu einer „Genossenschafts-
und Kooperations-Allianz“ von Regierung, Parteien und Verbänden, deren
Aufgabe es sein sollte, den gesamten Genossenschafts-Sektor zu befähigen,
mindestens – kurzfristig – einen Anteil von 1% Genossenschaften im
Mittelstand zu erreichen, was einer Zielgröße von etwa 20.000
Genossenschaften entspricht.
D. Die
Selbstorganisationsfähigkeit des Genossenschafts-Sektors wird systematisch ausgebaut. Das
beinhaltet zugleich Aufklärung und Qualifikationen für Teilhaber und
potenzielle Teilhaber in Genossenschaften.
E.
Es wird – unter paritätischer Beteiligung von Politik – Verbänden –
Vertretern der Teilhaber – eine Institution „Genossenschafts-Parlament“ eingerichtet. Dessen vordringliche
Aufgabe es sein sollte, unser Land endlich aus dem genossenschaftlichen „Dornröschen-Schlaf“ zu befreien und
Voraussetzungen zu schaffen, um wieder an die Spitze des europäischen
Genossenschaftswesen zu kommen. Dazu wird zunächst empfohlen, an eine – möglichst nichtdeutsche Universität –
einen Forschungsauftrag zu vergeben, das Genossenschaftswesen auf EU-Ebene
vergleichbar zu machen und im Rahmen eines „Stärke-Schwäche-Vergleichs“ erste
Handlungsempfehlungen für das Genossenschafts-Parlament zu geben.
Das
Fach-Hearing wurde übereinstimmend als eine wichtige Positionsbeschreibung
des deutschen Genossenschaftssektors gesehen. MMW greift – so abschließend
der Vorstand – die vielen Anregungen des Hearings gern auf und sichert zu,
daraus entsprechende politische Initiativen zu entwickeln. Im Rahmen von MMW
wird geprüft, einen Fachausschuss „Genossenschaften
und Mittelstand“ einzurichten, zu dessen Mitwirkung – neben Vertretern
aus Wissenschaft und Praxis auch Vertreter von Parteien und Verbänden – nicht
nur aus dem Genossenschafts-Sektor - eingeladen werden.
PV: 07-2018
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