Ist
Raiffeisen ein Schweizer, ein Spanier, ein Franzose, ein Italiener, Pole, Finne oder Ungar?
Natürlich nicht, er ist ein Deutscher. Schaut man sich allerdings in diesen –
und noch viel mehr europäischen Ländern – die aktuellen Entwicklungen zum
Genossenschaftssektor an, käme man nicht darauf, dass er ein Deutscher war.
Deutschland
ist in Europa von einem Vorbild-Land zu einem Entwicklungsland in Sachen
Genossenschaften geworden.
Netto
– nach Abzug von Löschungen - haben sich
im Jahre 2016 die Genossenschaften in Deutschland nur um „sehr müde“ 23 (!) Genossenschaften vermehrt. Das
ist im Vergleich zu anderen Rechtsformen ein absolutes „Tief“.
Nun
könnte man meinen, diese negative Entwicklung sei in anderen europäischen Ländern
ebenfalls negativ. Stimmt aber nicht, absolut nicht. Genau das Gegenteil ist
der Fall!
Deutschland
ist - im Verhältnis zu anderen Ländern – eine Art Entwicklungsland geworden!
Natürlich
passen solche Feststellungen nicht in das Bild derer, die gerade mit dem Namen des
exzellenten Ideen-Gebers für Genossenschaften, Friedrich Wilhelm Raiffeisen
eine große angelegte Verbandspropaganda starten. Im Jahre 2018 findet „200
Jahre Raiffeisen“ statt. Man wäre dumm, wenn man das nicht für sich nutzen
würde. …
Unklar
bleibt, was es eigentlich zu feiern gäbe, denn in Deutschland gibt es lediglich
7500 Genossenschaften (2016), während es – bei zum Teil erheblich niedrigeren
Einwohnerzahlen – in Spanien 20.100,
in Italien 39.600 oder Frankreich 22.600 Genossenschaften
gibt.
Auch
kann nicht als Entschuldigung angeführt werden, dass es in Deutschland keine
Resonanz für Genossenschaften gäbe. Derzeit stehen – so genossenschaftstypische
Werte, wie Teilhabe, Transparenz, Vertrauen oder Selbstorganisation – bei den
Menschen in Deutschland hoch im Kurs.
Und
übrigens , wir hatten in Deutschland bereits einmal über 52.000 (!) Genossenschaften. Wir hatten auch Zeiten, in denen jährlich 2.000 bis sogar 5.000 neue
Genossenschaften gegründet wurden!
Es
liegt also weder an der guten Idee von Herrn Raiffeisen, noch an einer Distanz
der Deutschen zu Genossenschaften oder Genossenschaftswerten oder gar daran,
dass Wirtschaft in Kooperation von den Menschen nicht aufgegriffen würde.
Worin
auch immer die Gründe liegen mögen, das extrem schlechte Ergebnis für
Genossenschaftsgründungen fordert zum
Handeln förmlich heraus.
Aber
wer sollte das tun?
Die
Großverbände, die sich bisher als alleinige Sachwalter in Sachen
Genossenschaften gegenüber der Politik dargestellt haben? Wohl kaum, denn sie tragen
– indirekt oder direkt – entscheidende Verantwortung für das schlechte Bild.
Oder
die Wissenschaft? Die genossenschaftlichen Forschungsinstitute an Universitäten
sind solange nicht unabhängig, solange sie vom Geld von genossenschaftlichen
Groß-Verbänden oder deren Unternehmen abhängen.
Die
Politik? Die Lobbyarbeit der Großverbände ist in fast alle Parteien sehr gut
ausgeprägt.
Ein
dringender Wandel ist angezeigt, um diesen Tiefpunkt deutscher
Genossenschaftsentwicklung umzukehren.
Und
dieser Wandel kann und wird sich nicht einstellen, solange ein „Kartell“ von
wenigen Großverbänden den Ton in Deutschland angeben.
Man
nennt ihn „Gemeinsamen Ausschuss“ für den Genossenschaftsbereich. Nun gut, dann
muss man auch bereit sein, für das Desaster die Verantwortung zu übernehmen.
Ein
„weiter so“ oder „wir schaffen das“ kann es nicht geben. Jetzt müssen die
Menschen in Genossenschaften und die Genossenschaften selbst, in die
Verantwortung gehen.
Die
Idee, ein „GenossenschaftsParlament“
und einen „GenossenschaftsRat“ zu
gründen, hat seine dringende Berechtigung.
Wichtig
ist jetzt, die hervorragenden Ideen von Raiffeisen und Schulze-Delitzsch nicht
wenigen zu überlassen, sie zu verkörpern. Es gebietet den Menschen, allen
Menschen sich damit zu identifizieren, die kooperativ denken und handeln
wollen. Dies ist nicht das Vorrecht von denen, die sich mit dieser Idee nur
noch geschäftspolitisch zu verbinden
scheinen.
Die
Statistik zeigt, wie weit Deutschland in Sachen Genossenschaften zurückgefallen
ist. Dafür tragen wenige Verbandsfunktionäre aus lediglich 2 Großverbänden die
Verantwortung. Fairerweise sei gesagt, eigentlich nur ein Großverband, denn im
Bereich Wohnungsbau sind durchaus Unterschiede zu erkennen.
Überträgt
man die Anzahl der Genossenschaften verschiedener Länder auf Deutschland –
unter Berücksichtigung der tatsächlichen Einwohnerzahl dieser Länder - dann
müssten wir in Deutschland nicht nur 7.500 Genossenschaften haben. Im Vergleich
zu Italien müssten es 53.750
Genossenschaften, im Vergleich zu Spanien
wären es 35.700, im Vergleich zu Frankreich 27.950, im Vergleich zu Schweden 48.850 und Finnland sogar 76.400 Genossenschaften.
Die Relation zur Schweiz ist
besonders drastisch, denn nach diesem Vergleich hätten wir eigentlich über 95.000 Genossenschaften haben müssen!
Wir haben aber nur 7.500 Genossenschaften in Deutschland.
Wenn
das keine Ironie der Geschichte ist: Friedrich Wilhelm Raiffeisen wird ausgerechnet
von denen geehrt, die für eine Wirklichkeit verantwortlich zeichnen, die
Raiffeisen wohl kaum so gewollt hätte.
Man
kann nur hoffen, dass es genug Politiker und Journalisten gibt, die dieses
Medien-Spektakel durchschauen und sich ihre eigene Meinung bilden werden.
Beginnen Sie einfach damit, die
richtigen Fragen zu stellen, wenn man Sie anspricht, sich vor einen „Werbe-Zug“
spannen zu lassen, der längst neben den Gleisen fährt ….
Mensch
Raiffeisen Was einst als tolles Konzept gestartet ist, dümpelt heute vor sich
hin.
*)Die Grundzahlen der Genossenschaften der Länder der Statistik wurde von
der europäischen Dachorganisation der Genossenschaften, „Cooperatives Europe“
2016 veröffentlicht.
Die Geno Ratio ermittelte
GenossenschaftsWelt aus der Landesbevölkerung dividiert durch die Anzahl der
Genossenschaft.
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PS:
Wir danken www.genossenschaftswelt.de
für die Freigabe zum Abdruck des Artikels auf unserem Blog